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Elemente der chinesischen Kultur

Unterwegs in China begegnen dem Reisenden viele Elemente der klassischen chinesischen Kultur, die ihm oftmals Rätsel aufgeben. Vielfach übersieht der Laie aber auch einfach die reichhaltige Bedeutung und den tiefen Symbolgehalt der chinesischen Charakteristika und stolpert nichtsahnend an den spannendsten Geschichten vorbei. Dieser Missstand soll (zumindest teilweise) mit dem folgenden Text  behoben  werden.

Verfasst von Lukas Weber

Als die ersten christlichen Missionare im 16. Jahrhundert nach China gelangten waren sie verblüfft. Am anderen Ende Eurasiens fanden sie eine vollkommen eigenständige Kultur vor, deren Entwicklungsstand der europäischen im Mindesten ebenbürtig war. Diesen kulturellen und geografischen Gegenpol bezeichneten sie anerkennend als Europas „Alter Ego“.

Viele Elemente dieser jahrtausendealten Kultur sind trotz Modernisierung bis heute nicht verschwunden und begegnen dem Chinareisenden am laufenden Band. Am offensichtlichsten sind dabei Architektur und soziale Gebräuche, doch die wirklich interessanten Aspekte sind in den kleinen Details zu finden.

Steinlöwe

Steinlöwe

Ästhetik als Statussymbol

Ein besonderes Rätsel stellten für mich immer schon die Steinlöwen (石狮 SHISHI) dar, welche paarweise vor den Eingangstoren vieler Gebäude zu sehen sind. Soweit ich weiß, hat es in China nie Löwen gegeben, wie also kommt es, dass sie ein derart unverzichtbares Merkmal der charakteristisch chinesischen Architektur geworden sind?

Wie es der stete Reisebegleiter Zufall so will, treffe ich im Zug von Xi’an nach Yichang einen Archäologen, der just eine Arbeit über diese seltsamen Torwächter fertig gestellt hat. Von ihm erfahre ich, dass die Löwen jeweils ein Männchen und ein Weibchen repräsentieren, wobei das Männchen an dem Ball zu erkennen ist, auf dem seine rechte Pfote ruht. Dieser symbolisiert die Einheit des Reiches, während das Löwenjunge unter der linken Pfote des Weibchens für Fruchtbarkeit steht.

Goldene Türnägel

Goldene Türnägel

Die Platzierung von Löwen vor dem Eingangstor war einst nur hochrangigen Beamten ab dem siebten Grad erlaubt, wobei der genaue Grad an der Anzahl der Haarknoten auf dem Löwenhaupt abzulesen war. Auch andere Elemente der Architektur lassen den Status der Bewohner eines Hauses auf den ersten Blick erkennen. Eines davon sind die sogenannten „Türnägel“ (门钉 MENDING), runde, zumeist goldene Knöpfe an den Eingangstoren von Palästen und Tempeln.

Hier verkörpert den Status die Anzahl der „Nägel“, die in Reihen von ungerader Gesamtzahl an den Toren angebracht sind. Im alten China galten ungerade Zahlen als maskulin, während gerade Zahlen als feminin galten. Die höchste einstellige ungerade Zahl ist dementsprechend die Neun. Jene als das „ultimativ Maskuline“ ein Zeichen für die kaiserliche Souveränität darstellte. An den Toren der Verbotenen Stadt in Beijing befinden sich demnach neun Reihen von jeweils neun goldenen Türnägeln. Dem Status entsprechend hatten niedere Adelige oft 7x7 oder 5x5 goldene Türnägel, während Beamte mit solchen aus Eisen vorlieb nehmen mussten.

Von mythologischen Feuerlöschern

Die chinesische Zahlensymbolik spielt aber auch andernorts eine Rolle. Zum Beispiel bei der Anzahl zoomorphischer Ornamente (吻兽WENSHOU), die an den seitlichen Ausläufern alter Hausdächer angebracht sind. Auch hier finden sich die meisten mythologischen Tiere auf den Dächern der Verbotenen Stadt. Entsprechend weniger auf den Wohnhäusern von Menschen mit niedrigerem Status.

Chiwen

Chiwen

Wie auch die Steinlöwen drücken die zoomorphischen Ornamente mehr als nur Status aus: Ihre symbolische Bedeutung liegt darin, dass sie angeblich imstande seien Feuer zu löschen. In dieser Hinsicht ist auch das monströse Biest zu erwähnen, das zu beiden Seiten des Daches den Giebel zu tragen (bzw. zu verschlingen) scheint. Es ist Chiwen (螭吻), jener der neun Söhne des Drachenkönigs, welcher das Meer regiert. Indem er die Wellen aufwühlt und zu Regen macht, schützt auch er vor Feuer.

Nicht nur ästhetisch ansprechend, sondern ebenfalls von hohem Symbolgehalt sind die Farben jener glasierten Ziegel, mit denen die Dächer von Palästen und Tempeln, sowie die Wohnhäuser hochrangiger Beamte gedeckt sind. Es gibt sie in den Farben gelb, grün, blau und schwarz, die entsprechend der 5-Elemente-Lehre jeweils mit einem bestimmten Element assoziiert werden. Gelb ist die Farbe der Erde, die als mittleres Element das Zentrum des Universums repräsentiert. Aus diesem Grund sind gelbe Dachziegel den Quartieren der Kaiserfamilie, sowie kaiserlichen Palästen, Mausoleen und Tempeln vorbehalten, während die Wohnhäuser der Hofbeamten mit grünen Ziegeln gedeckt sind.

Die Farbe ist dabei sowohl Statussymbol als auch Träger von symbolischer Bedeutung: Beispielsweise ist die kaiserliche Bibliothek (文渊阁 WENYUANGE) in der Verbotenen Stadt mit schwarz glasierten Ziegeln gedeckt, die mit dem Element Wasser assoziiert wurden. Da Bücher sehr feuergefährdet sind, stellt das schwarze Dach der Bibliothek ebenfalls eine magische Form der Feuerprävention dar.

Falschgeld, Menschenopfer und das „verkehrte Glück“

Das Anbringen von Statussymbolen am eigenen Wohnhaus war zu Kaiserzeiten streng reglementiert und führte bei Überschreitung der Gesetze unwiderruflich zur Hinrichtung. Andere Brauchtümer des Adels hingegen wurden nicht so rigide gehandhabt und fanden mit der Zeit Eingang ins Volksbrauchtum.

Papiergeld für die Ahnen

Papiergeld für die Ahnen

So kann man noch heute Menschen beim Verbrennen von falschen Geldscheinen, Papiergoldbarren oder gar Papierhäusern und –autos beobachten. Die als Opfergabe den verstorbenen Verwandten in der Nachwelt zugute kommen sollen. Dieser Brauch geht zurück auf eine Zeit vor mehreren tausend Jahren. Als auf dem Gebiet des heutigen China noch Sklaverei herrschte. Wenn eine hochrangige Person starb, wurden häufig ihre Bediensteten bei lebendigem Leibe mitbeerdigt. So konnte sie auch in der Nachwelt als Diener zur Verfügung stehen. Doch bereits zur Zeit von Chinas erstem Kaiser (Qin Shi Huangdi) war man dazu übergegangen symbolische Figuren anstatt lebender Menschen zu begraben. Die Terrakotta-Armee in Xi’an ist ebenso Ausdruck dieses Brauchtums, wie das Verbrennen von papierenen Artefakten heute.

Das verkehrte Glück

Das verkehrte Glück

Nicht nur zur Zeit des Frühlingsfestes lässt sich der folgende alte Brauch beobachten: Das Anbringen des Schriftzeichens FU (福) an den Haustüren soll Glück und eine frohe Zukunft für die Bewohner bringen. Interessanterweise wird das Zeichen aber auf dem Kopf stehend aufgehängt. Warum das so ist, hierzu existieren mehrere Legenden und Interpretationen, von denen mir die Folgende am plausibelsten erscheint: Bemerkt man nämlich, dass das FU verkehrt herum hängt, so sagt man FU DAO LE (福倒了). Dies ist auf Chinesisch gleichklingend mit „das Glück ist angekommen“ (FU DAO LE 福到了), ergo ein positives Zeichen.

Eine Kuriosität zum Schluß

Aufmerksamen Reisenden wird in dem einen oder anderen Museum ein seltsamer Gegenstand auffallen, der den Namen „wie du wünschst“ (RUYI 如意) trägt. Dabei handelt es sich um einen wellenförmig gebogenen Schaft, an dessen Ende eine ovale Plakette sitzt, die mit glücksbringenden Zeichen (wie „Kiefer und Kranich“ für langes Leben, oder „Phoenix und Pfingstrose“ für Reichtum) versehen ist.

Dieser Gegenstand erlangte einen hohen Grad an Verehrung zur Zeit der Qing-Dynastie, als er ein alltäglicher Begleiter des Kaisers war. Sowohl auf seinem Nachtkästchen als auch neben dem Thron lag stets ein Ruyi, und zu besonderen Anlässen beschenkten ihn seine Minister mit ganzen Sammlungen dieses Gegenstandes, der aus den kostbarsten Materialien gefertigt sein konnte. Auch der Kaiser verschenkte ab und an einen Ruyi, was für die beschenkte Person eine besondere Auszeichnung darstellte. Dabei hat dieser seltsame Gegenstand aber weder eine praktische Anwendungsmöglichkeit noch einen besonders tiefen Symbolgehalt.

Richtig kurios wird die Sache, wenn man die Evolution des Ruyi kennt. Zu Beginn war er nichts anderes als ein Bambusstiel, an dessen Ende eine kleine, geschnitzte Hand saß, mit der man sich bequem den Rücken kratzen konnte. Der Ruyi hat dementsprechend eine erstaunliche Karriere hinter sich: Vom Rückenkratzer zum Objekt kaiserlicher Verehrung. Er ist daher noch heute ein Symbol der Hoffnung für Klobesen und Putzgegenstände aller Art.

Und wie kamen die Löwen nun nach China?

Ach ja! Bevor wir uns gänzlich in dem gigantischen Kosmos chinesischer Kulturelemente verlieren, sollten wir besser zur Ausgangsfrage zurückkehren: In China hat es freilebende Löwen tatsächlich nie gegeben, deren Habitat Afrika und Westasien waren. Das Bildnis des Löwen ist in der Tat ein Importprodukt, das auf alten Handelswegen bereits im 2. Jahrhundert vor Christus nach China kam.

Die Modellierung der ersten Steinlöwen fällt zusammen mit der Ankunft des Buddhismus in China (Zeit der östlichen Han-Dynastie; 25-220). Denn im Buddhismus gilt der Löwe als ein Tier der Tugend und Erhabenheit, das imstande ist das Böse zu vertreiben und die Wahrheit zu schützen.

Als Schutzsymbole begann man sie zuerst auf Friedhöfen aufzustellen, adaptierte sie dann als Torwächter und mit der Zeit etablierten die Steinlöwen sich als allgemeines Dekorationsmerkmal. Noch heute findet man sie, nicht nur vor alten Palästen, sondern auch manche Hotels und die „Bank of China“ huldigen der Tradition mit jeweils einem Löwenpaar vor ihren Eingängen.

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