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Alles Hund? Das chinesische Essen und was wirklich dahinter steckt

Ilka Schneider, Sinologin, Autorin und begeisterte Tuschemalerin, berichtet von ihren ersten Erfahrungen mit der außergewöhnlichen chinesischen Küche. Sie gibt für uns einen Einblick in die kulinarische Vielfalt und ihre Hintergründe und Traditionen.

Abgesehen von einer vorübergehenden, kindlichen Begeisterung für Hühnerleber war ich schon immer schwierig, was das Fleischessen angeht. Am besten ging Muskelfleisch ohne Fett, Knochen und Flachsen. Doch auch Hackfleisch konnte ich nicht ausstehen. Da liegt es nahe, dass ich immer wieder längere Phasen meines Lebens Vegetarierin war.

Vorsicht: scharf!

Vorsicht: scharf!

Doch nach dem Abitur fuhr ich nach China, und Chinesen haben soviel Verständnis für vegetarische Ernährung wie Bayern, Mongolen und Russen zusammen. Zwar wird in China viel und vielfältiges Gemüse gegessen, aber wozu sollte man kein Fleisch essen? Wenn man auf Yin und Yang und alle fünf Elemente achten muss, wenn man versessener auf und fanatischer mit Essen ist als Italiener und Franzosen und das noch dazu in riesiger Anzahl, warum sollte man dann irgendetwas Essbares nicht essen? Das Konzept ist also schwer vermittelbar und auch in die berühmtesten Tofugerichte gehört in der Regel zumindest Schweinefleisch.

Einzige Ausnahme ist der Buddhismus. Aber weil diese Beschneidung im Essensgenuss für Chinesen so schlimm ist, gibt es auch für die Mönche und Nonnen eine Lösung: man bastelt die Fleischgerichte aus Pilzen, Getreide und Tofu einfach nach. Das Ergebnis ist sensationell und hat mit unseren Tofuwürstchen nichts gemein. Knusprig gebratener Fisch, Garnelen, Zwiebelrostbraten, Palasthuhn und und und. Es gibt nichts, was es nicht gibt. Die Gerichte sehen aus wie ihre Vorbilder, fühlen sich so an und schmecken auch so. Aber das ist natürlich teuer und nur für Festtage.

Geburtstag in China

Geburtstag in China

Weil die Chinesen aber so viel Gemüse essen, kann man sich natürlich trotzdem recht leicht vegetarisch oder sogar vegan ernähren. Es versteht nur keiner, warum man das macht. Aus Gründen der Neugier habe ich vor jeder Reise nach Fernost trotzdem beschlossen, nicht Vegetarierin zu sein. Grundsätzlich habe ich das nicht bereut. Nur manchmal.

Kaum war ich 1987 das erste Mal dort, wurde ich durch Verkettung verschiedener Umstände zu einem Bankett eingeladen. Der Tisch bog sich vor lauter köstlichem Essen. Neben mir saß der Gastgeber und füllte -wie es sich gehört- fürsorglich mein winziges Tellerchen mit erlesenen Köstlichkeiten. Er wählte als erstes ein Stück erst getrocknete und dann wieder gekochte Schweineschwarte. Perlen vor die Säue, könnte man sagen. Ich war in der Zwickmühle. Einerseits sah ich mich außerstande das zu essen und andererseits füllte die Schwarte mein Tellerchen völlig aus, so dass ich nichts anderes hätte essen können. Mir blieb nur die Flucht nach vorn: Ich mag das nicht, sagte ich unhöflich, aber mit dem Mut der Verzweiflung, immerhin auf Chinesisch. Glücklicherweise lachte er und meinte, das hätte er sich damals in den USA auch mal trauen sollen, als er sich den Cheeseburger runterzwang, um dann schnell zum Kotzen zu verschwinden, weil er den Käse nicht vertrug. Umgehend schnappte sich mein Gastgeber und Essensvorleger die Schwarte von meinem Tellerchen und schob sie sich genussvoll selber in den Mund.

Trocknen in der Sonne

Trocknen in der Sonne

Viele Jahre später sah ich mich bei einer chinesischen Freundin in Berlin vor demselben Problem und dachte, komm jetzt, los, du wirst nicht daran sterben. Und was soll ich sagen: die Konsistenz war widerlich, aber Fett ist nun mal ein Geschmacksträger.

Neben all den Köstlichkeiten, von denen die chinesische Küche so reich ist, gab es manche Herausforderung, die ich annahm (Schlange, Seegurke, 1000jährige Eier) und andere denen ich auswich (Entenfüße, halb ausgebrütete Eier, Ochsenfrosch). Das Schlimmste war jedoch, als eine Freundin mit mir essen ging und Fischköpfe bestellte. Mir kam das insofern auch nicht so abwegig vor, weil sie mir mal erzählt hatte, dass ihr am Fisch der Kopf am Besten schmeckt. Es wurde eine sonderbar violette Masse serviert, die praktisch geschmacklos war und mich trotzdem zum Würgen brachte: pürierte lila Fischköpfe! Weil es aber so gar kein kleines bisschen nach Fisch schmeckte, überdachte ich noch mal, was sie bei der Bestellung genau gesagt hatte. Da dämmerte es mir. Sie hatte nicht Yutou, sondern Yutou gesagt, mit einem Tonunterschied auf der ersten Silbe: Süßkartoffel! Daher auch die sonderbar lila Farbe. Schon passte alles wunderbar zusammen und mein Magen entspannte sich langsam. Das Hirn isst eben mit.

Reichlich gedeckter Tisch

Reichlich gedeckter Tisch

Ein anderes Mal lud mich ein chinesischer Freund zum Jiaozi-Essen ein, also zu chinesischen Maultaschen. Ob ich Vegetarierin sei, fragte er mich. Ich, nein, i wo, sagte ich, weil ich wusste, dass er nicht so gerne vegetarische Jiaozi macht. Und was sollte schon passieren? Die Jiaozi waren köstlich mit Fenchel und Schweinefleisch gefüllt, zum Niederknien. Aber dazu gab es auch Beikost: Hühnermägen. Ausgerechnet. Wie gerne hätte ich in einen sauren Apfel gebissen, aber so biss ich eben in recht zähe, scharf gewürzte Hühnermägen. Hätte es nicht wenigstens die Leber sein können?

Ilka Schneider treibt seit frühester Kindheit eine gewisse Neugier an der chinesischen Kultur um, die zu entsprechenden Reisen, einem späten Sinologie-Studium und 2005/2006 zu einem einjährigen Aufenthalt in Taiwan führte. Ein wichtiger Zugang zum kulturellen Erbe Chinas sind ihr Tuschmalerei und Kalligrafie, die sie bei Rita Böhm, Li Shangqing, Feng Xianmin und Su Chung-Kuei lernte. Die Künstlerin verbindet Tradition und Technik der traditionellen Tuschmalerei mit modernem, westlichem Hintergrund. Sie arbeitet als Autorin und Malerin in Berlin.

Bisher veröffentlicht:

Zwischen Geistern und Gigabytes

  • Abenteuer Alltag in Taiwan-

Dryas Verlag Edition Reiseratte, Frankfurt, 3. Auflage 2012

Kunst kostenlos in Berlin

-23 Spaziergänge zu Kunstwerken unter freiem Himmel-

Verlag an der Spree, Berlin, 1.Auflage 2011

Die verborgenen Talente der Blumen

-8 Portraits starker Frauen aus dem alten China-

(mit ca. 40 Tuschmalereien) Dryas Verlag, Frankfurt, 2011

Monatlicher, illustrierter Blog zu chinesischen Themen: http://taiwan.dryas.de/

www.ilkaschneider.de

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