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Ma'an - Ein magisches Minderheitendorf der Dong

Kultur und Alltag der Dong

Nachdem ich beschlossen habe, China als ein Gesamtpaket zu betrachten, die Dinge zu nehmen, wie sie kommen, (und nicht dem deutschen Perfektionswahn zu verfallen), zeigen sich mir plötzlich an allen Ecken und Enden spannende Dinge. Noch spätabends versucht mein Gehirn, all die neuen Eindrücke zu verarbeiten, sodass ich kaum zum Schlafen komme, immer wieder zum Notizbuch greife, meinen Freunden aufgeregte Whatsapp-Nachrichten schreibe. Doch meiner Freundin geht es kaum anders. Eines Morgens merkt sie erst, als wir schon im Taxi zum Bahnhof sitzen, dass mit ihrem Schuhwerk irgendetwas nicht stimmt – tatsächlich baumeln da immer noch die Hotelschlappen an ihren Füßen.

Verständlich, wenn man bedenkt, dass heute ein ganz besonderer Ausflug ansteht: Wir wollen ein Dorf der Dong-Minderheit besuchen, eine der insgesamt 56 offiziellen Minderheiten in China. Insgesamt gibt es noch ca. 3 Millionen Dong in Südchina (beispielsweise in Guizhou , aber auch in Teilen Vietnams); sie sind bekannt für ihre Fertigkeiten im Umgang mit Holz und für ihre vielstimmigen Chorgesänge. Beides hoffen wir heute mit eigenen Augen und Ohren zu erleben.

Richtung Minderheiten-Dorf Ma'an

Die Fahrt zum Minderheiten-Dorf stellt sich als etwas umständlich heraus: Wir nehmen zuerst ein Taxi zum weit außerhalb der Stadt gelegenen Bahnhof Guilins, danach den Zug nach Sanjiang, wo wir von einer Horde privater Taxifahrer erwartet werden, die uns einen Sonderpreis für die Fahrt ins ungefähr eine Stunde entfernte Dorf Ma'an anbieten. Wir wählen den Fahrer, dessen Schild uns am seriösesten und informativsten vorkommt.

Und wir hätten es kaum besser treffen können - denn es stellt sich heraus, dass er selbst zur Dong-Minderheit gehört und uns somit quasi Infos aus erster Hand liefern kann! Als er uns eine private Tour durch sein Dorf anbietet, können wir gar nicht mehr anders, als freudig anzunehmen - obwohl er Hochchinesisch mit starkem Dialekt spricht und ich kaum ein Wort von dem verstehe, was er sagt. Zum Glück hat meine Reisebegleiterin eine natürliche Begabung für das mündliche Chinesisch (sie weiß oft wundersamerweise schon vorher, was jemand sagen will) und bietet an, für mich zu "dolmetschen".

Den Berg hinauf

Zuerst gehts auf einen kleinen Berg, von dem aus man eine wunderbare Sicht über das Dorf hat. Auch die traditionelle „Wind- und Regenbrücke“, quasi das Eingangsportal zum Dorf, kann man von hier aus in ihrer ganzen Länge bestaunen. Sie ist ein typisches Beispiel für die traditionelle Zimmermannskunst der Dong, die sich durch ihre filigranen und komplexen Strukturen auszeichnet (die Wind- und Regenbrücke von Maan wird durch Holznägel zusammengehalten, und das schon seit mindestens 100 Jahren!).

Ma'an Dorf

Ma'an Dorf der Dong-Minderheit

Die Begrüßungszeremonie

Wieder unten beim Dorfeingang sehen wir, dass die Brücke auch zeremoniellen Zwecken dient: Vorne am Brückeneingang haben sich Einheimische in traditioneller Kleidung platziert, die jeden Besucher mit einem speziellen Ritual willkommen heißen. Auch ich nähere mich, nachdem ich die Szene ausgiebig fotografiert habe, vorsichtig dem Begrüßungskommittee, bekomme ein kleines Gläschen Schnaps (den traditionell chinesischen Baijiu) eingeflößt, höre mir staunend den vielstimmigen Chorgesang der Einheimischen an und werde, nachdem ich in einem Körbchen eine kleine Spende hinterlassen habe, schließlich hindurchgelassen. Ein Gefühl der Rührung und des Gesegnetseins überkommt mich, so als hätte ich soeben an einem magischen Initiationsritual teilgenommen, das mir das Portal zu einem ganz besonderen Ort geöffnet hat. Denn wie oft betreten wir modernen Menschen einen Ort, ohne wirklich bewusst eine atmosphärische Veränderung wahrzunehmen?

Meine Freundin ist indessen schon vorausgelaufen und unterhält sich mit unserem Reiseführer über das tägliche Leben im Dorf. Die Dong-Minderheit feiert nämlich nicht nur die traditionellen chinesischen Feste, sondern auch dutzende von eigenen Feiertagen. So gelten beispielsweise der „Tag, an dem der erste Reis geerntet wird“ und der „Tag, an dem die Wasserbüffel gewaschen werden“ als Feiertage. Und es gibt einige Feste, an denen das gemeinsame Singen im Vordergrund steht, darunter das absolut schräge und großartige „Fest für Liebhaber, die vom Blitz erschlagen wurden“. Ob es im ländlichen Südchina tatsächlich eine überproportional hohe Zahl an Verliebten gibt, die auf dem Weg zu ihrem Herzblatt ein solches Unglück ereilt, konnten wir leider nicht herausfinden.

"La Rou"

Nach der anstrengenden Bergbesteigung gönnen wir uns zusammen mit dem Reiseleiter erst einmal ein herzhaftes Mittagessen. Dieses besteht aus Hühnersuppe, gekochtem Wasserspinat und der einheimischen Spezialität: „la rou“ – geräucherte Speckstreifen in Zuckerrohrsoße mit Reis. Ich merke schon jetzt, dass ich während der insgesamt vier Wochen in China meine vegetarischen Vorsätze kaum werde halten können. Der Reiseleiter flirtet über der abschließenden Tasse Tee derweil ein wenig mit meiner Freundin und fragt, ob sie sich ein Leben hier im Dorf vorstellen könnte. Er hat wohl nicht oft Frauen aus dem Westen zu Besuch, da muss er seine Chance nutzen.

Trommelturm der Dong-Minderheit

Wir setzen unseren Spaziergang durch das Dorf fort, in Richtung „Trommelturm“, dem traditionellen Versammlungsort der Einheimischen. Immer wieder wird unser Reiseleiter von Freunden und Bekannten gegrüßt, die zuerst einen neugierigen Blick auf uns werfen und ihn dann schelmisch angrinsen – so in der Art „da hast du ja einen guten Fang gemacht“. Im „Trommelturm“ – eine weitere architektonische Leistung der Dong – sitzen ein paar alte Männer und schauen fern. „Das ist eine Fernsehfassung des bekannten buddhistischen Klassikers Reise nach Westen“, erkennt meine Freundin. Reisen in ferne Länder – für diese alten Dorfbewohner wohl ein unerfüllter Traum.

Glockenturm von Ma'an

Dong Minderheit: Glockenturm von Ma'an

Die Religion der Dong

Doch sind die Angehörigen der Dong-Minderheit auch wirklich Buddhisten? Nicht ganz – Elemente des Buddhismus (und des Daoismus) fließen zwar in ihren Glauben mit ein, doch traditionell sind die Dong Anhänger des Animismus. Sie glauben also an Tier- und Naturgötter. Laut ihrer Überzeugung sind alle Dinge in ihrer Umgebung beseelt – inklusive Steine, Reissamen und sogar Brücken. Die Anhänger solcher Glaubensrichtungen neigen gewöhnlicherweise sehr zum Aberglauben. Entsprechend lang ist die Liste der Tabus im täglichen Leben der Dong. Man soll…

  • Keine Fische fangen, die stromaufwärts schwimmen.

  • Nie bei Tageslicht in ein neues Haus einziehen (da das Dorf dann noch wach ist).

  • Kein neues Haus bauen, wenn in letzter Zeit ein Nachbar gestorben ist.

  • etc.

Auch Magie und Schamanismus werden praktiziert, hin und wieder sogar Voodoo – das zu meiner Überraschung in ganz China relativ verbreitet ist.

Hinter den Kulissen

In einem kleinen „Teehaus“ – der Besitzer ist ein guter Freund unseres Reiseleiters – lassen wir den Tag schließlich ausklingen. Der aus einer Baumwurzel geschnitzte Holztisch, auf dessen Rundungen und Ecken sich unsere kleinen grünen Teeschälchen abstellen lassen, erregt sofort meine Aufmerksamkeit. „I made it myself“, erklärt der Besitzer in makellosem Englisch. Offensichtlich hat sich die Zimmermannskunst bis in die heutige Generation der Dong-Minderheit hinein erhalten.

Apropos Holz – was hat es eigentlich mit dem Armband aus Holzkugeln auf sich, das unser Reiseleiter trägt? „Das ist ein Geschenk, ein Glücksbringer. Die Holzkugeln ändern mit der Zeit ihre Farbe,  je länger man es trägt. Es wird sozusagen immer mehr ein Teil von dir. Aber man kann es nur geschenkt bekommen, nicht kaufen.“ Da fällt mir ein chinesisches Sprichwort ein: 可遇不可求. Etwas, das man nur durch Zufall oder Schicksal erhalten, aber nicht aktiv suchen kann. Passt genau zum Erlebnis des heutigen Tages, denke ich.

Die selbstgemachte Teeablage

Grüne Teeschale auf rustikaler Ablage

Von Guilin aus fährt regelmäßig ein Gaotie (Schnellzug) nach Sanjiang (Dauer ca. eine halbe Stunde). Dort kann man einen Fahrer mieten, der einen nach Ma´an bringt. Für einen etwas höheren Preis bekommt man dazu noch eine Führung durchs Dorf (Mittagessen muss separat bezahlt werden).

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