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Das Geheimnis der Stäbchen

Wie soll ich denn damit satt werden? Kein Wunder, dass die Chinesen alle so dünn sind! Was uns Messer und Gabel, sind dem Chinesen seine Stäbchen. Wirken viele Chinesen mit unserem Besteck anfangs etwas unbeholfen, treibt das asiatische Pendant den ungeübten Stäbchen-Esser anfangs erst einmal in die Verzweiflung.

Am Anfang war der Löffel

Anders als man vermuten mag, waren die Stäbchen nicht immer das Werkzeug der ersten Wahl. Vor den Stäbchen kam der Löffel. Die ältesten ihrer Art wurden im Süden Chinas gefunden und sind mehr als 6000 Jahre alt. Den ältesten Löffeln wird sogar ein Alter von bis zu 8500 Jahren zugeschrieben. Aber warum zunächst der Löffel? Die Erklärung ist eigentlich ganz einfach. Die ursprüngliche Nahrung vieler Chinesen war einst Zhou. Zhou kann man bis heute noch zum Frühstück bekommen und ist eine dickflüssige Reissuppe. Damals wurden aber auch die verschiedensten Getreidesorten zu Suppe zerkocht und nicht nur Reis. Hierfür werden dann weder Stäbchen noch Messer oder Gabel gebraucht - ein Löffel genügt.

Messer und Gabeln hat es auch schon damals gegeben, aber in erster Linie nicht zum Essen, sondern zubereiten und anrichten. Und meist wurde eh mit den Händen gegessen. Irgendwann fing man dann an, auch andere Zutaten mit in den Reisbrei zu geben und hier kommen dann die Stäbchen ins Spiel. Auch die zunächst sehr fleischarme Küche im alten China machten Messer und Gabel meist überflüssig. Lediglich die „bessere Gesellschaft“ konnte sich auch Fleisch leisten.

Und sie sagten auch etwas über den Stand in der Gesellschaft aus. Bei Ausgrabungen wurden Stäbchen aus den verschiedensten Materialien gefunden. Die ältesten Exponate aus Knochen aber neben hölzernen wurden sie auch aus Elfenbein gefertigt. Eindeutig nichts für den einfachen Bürger, sondern ein damaliges Statussymbol. In der Tang-Zeit wird auch von Stäbchen aus Jade, Gold, dem Horn des Nashorns sowie duftenden Hölzern berichtet.

Stäbchen erobern die Welt

Zwar nicht die ganze, aber zumindest die chinesische Welt. Also nach chinesischer Sicht schon die ganze oder zumindest zivilisierte Welt. Denn nach dem traditionellen chinesischen Verständnis von tianxia – alles unter dem Himmel – galt nur die chinesische Einflusssphäre als zivilisiert und rund herum formierten sich die Barbaren. Ohne Kultur und Sitten. Mit der Reichseinigung 221 v.Chr. durch die Qin-Dynastie erweiterte sich das Reich auch in Richtung Norden, doch erst mit der Han-Dynastie von 206 v.Chr. bis 220 n.Chr. verbreiteten sich die Essgewohnheiten des Südens auch in den Norden und Nordosten. Damit kamen dort auch die Stäbchen an und konnten mit der immer weiteren Ausdehnung des Reiches auch weitere Gebiete erreichen.

Nicht nur das chinesische Kaiserreich aß somit mit Stäbchen, sondern auch eine Reihe von Vasallenstaaten, die sich unter den kulturellen Einfluss Chinas stellten, um kriegerischen Auseinandersetzungen aus dem Weg zu gehen oder Schutz zu erhalten. Sie wurden somit ein Teil von unter dem Himmel und traten in die Zivilisation und Einflusssphäre ein. Daher kommt es, dass bis heute Japaner, Vietnamesen und auch Koreaner mit Stäbchen essen. Alle haben ihre eigenen Formen, aber die Nutzung ist doch ähnlich. Die Japanischen sind rund und spitz zulaufend, die Koreanischen etwas platt gedrückt und die chinesischen in aller Regel hinten eckig und vorne rund.

Mal länger mal kürzer

Tatsächlich unterscheiden sich die chinesischen und die japanischen Essstäbchen auch in der Länge. Als in China ab der Song-Dynastie (960 bis 1279) begonnen wurde, an Tischen zu essen und nicht mehr jeder sein eigenes Gericht hatte, sondern alle gemeinsam eine gewisse Anzahl verschiedener Gerichte aßen, wurden auch die Stäbchen länger. Denn nun musste das Essen nicht mehr nur von seiner Schale in der Hand bis zum Mund kommen, sondern es wurde von der Mitte des Tisches gegessen. Da haben längere Stäbchen doch einen gewissen Sinn. Diese Entwicklung blieb in diesem Maße in Japan aus und so sind japanische Stäbchen bis heute kürzer als die aus China. So zumindest die chinesische Theorie.

Die Menge macht’s

Heute sind Stäbchen in China wenn überhaupt noch aus Plastik, meistens jedoch aus Holz. Holz klingt erst einmal nach einem nachhaltigeren Rohstoff als Plastik, doch ist hier die Menge entscheidend. Pro Jahr werden alleine in China 45 Milliarden Einwegstäbchen aus Holz verwendet. Das entspricht einer Fläche von 1,7 Millionen Kubikmetern Holz oder auch 25 Millionen ausgewachsenen Bäumen. Eine gewaltige Menge. Deswegen hat China 2005 auch eine Steuer für Einwegstäbchen eingeführt, die 5% beträgt.

Silvester in Shanghai

 Esstäbchenturm: Silvester in Shanghai / Foto: Frederik Schmitz

Don’ts

Stäbchen sind zum Essen da. Auch wenn sie den ein oder anderen an Drumsticks erinnern sollten, wird mit ihnen keine Musik gemacht. Mit ihnen wird auch kein Essen zerteilt und ganz wichtig, sie werden niemals in den Reis gesteckt. Diese sehen dann aus wie Räucherstäbchen und erinnern an den Tod. Und wer mit ihnen nicht zurecht kommt, für den haben die Chinesen auch etwas entwickelt. Inzwischen können sogar in deutschen Asiamärkten Silikonfiguren gekauft werden, die dabei helfen können, mit Stäbchen zu essen. Ganz praktisch können die Stäbchen da hinein gesteckt werden, wo sonst die Beine wären. So ist es wirklich ein Kinderspiel und niemand muss nach Besteck fragen oder gar das Essen anfangen aufzuspießen – à la Schaschlikspieß.

Ob das besser ist als bei Reis?

Stäbchen in Nudelsuppe / Foto: Frederik Schmitz

Sie gehören zum chinesischen Essen, wie der süße Senf zur Weißwurst oder das Bier zum Grillen. Und sie haben eine sehr lange Tradition. Am Ende ist es einfach eine reine Gewöhnungssache. Ich habe schon Chinesen gesehen, die beim Essen eines Cordon Bleus mit Messer und Gabel verzweifelten und irgendwann anfingen Schicht für Schicht zu essen; und ich habe schon Freunde mit Stäbchen essen sehen, die sie am liebsten wutentbrannt in die Ecke geschmissen hätten. Hier gilt wirklich: Übung macht den Meister. Wer es dann sogar schafft, zwei oder gar drei Erdnüsse gleichzeitig mit seinen Stäbchen in seinen Mund zu befördern, der ist bestens gewappnet für eine Reise nach China oder auch zum Chinamann um die Ecke. Aber immer dran denken: Auch Chinesen mussten es einmal lernen.

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